N. ist Sarde. Kein Italiener. Auf diese Unterscheidung legt er immer großen Wert. N. ist Koch. In Sardinien. Und Schlagzeuger aus Hobby. N., das ist für das Folgende wichtig festzuhalten, kann keine zwei Minuten still sitzen. Er muss in Bewegung sein. Er hat eine italienische Größe, also etwas kleiner als wir, stämmige Figur, durchtrainiert, schüttere Haare.
Es gab eine Zeit, da kam N. regelmäßig nach Düsseldorf um Freunde zu besuchen. Mindestens einmal monatlich landete er auf dem Kölner Flughafen, in der Hand eine kleine Reisetasche. Wobei das der falsche Begriff ist, „Provianttasche“ träfe es besser. Denn stets brachte er Schinken und Salami, Pecorino und Bottarga, Mirto und ähnliches mit. Das waren nicht bloße Souvenirs, das waren für ihn unabdingbare Zutaten für seine Küche. Denn er kam immer nach Deutschland, um für uns zu kochen. Und das ging für ihn nur mit „prodotti sardi – rigorosamente“ – das wurde zum geflügeltem Begriff im Freundeskreis, spätestens als er anfing auch sardische Eier zu transportieren.
N. kochte häufig auch in unserer Küche und an eine Begebenheit erinnere ich mich auch heute noch jeden Monat, sie ist in besonderer Erinnerung geblieben. Es ging um Spaghetti AOP. Ich stand mit ihm am Herd. Jeder die gleiche Pfanne, jeder die gleichen Zutaten, jeder die gleichen Nudeln. Wir kochten zusammen wie ein Ballett. Aber…..es ging darum, wessen Pasta denn nun besser schmecken würde. Natürlich waren die vom Profi besser, für mich bis heute darin begründet, dass er die Pasta eleganter durch die Pfanne wirbeln konnte, einhändig, lässig,souverän, während ich das damals noch ein wenig ungelenk nachzuahmen versuchte.
Ein Jahr später: Er holte uns vom Flughafen Olbia mit seinem neuen Transporter ab. Sichtlich stolz raste er in italienische Manier in Richtung seines Heimatdorfes, er müsse unbedingt einen Cafe trinken und den gäbe es nur in einem Laden im Nebenort direkt am Meer. Gut, der Cafe war ok, hätte aber nicht diese Strecke bedurft. Dabei ging es ihm um was ganz anderes. Denn die nächste Bucht, so erzählte er aufgeregt, sei die, wo es die besten Ricci die Mare gäbe. Und die müsse er heute seinem Vater noch besorgen. Also fuhr er mit uns in die nächste Bucht. Mit dem Bus direkt bis an die Wasserkante. Ein Sarde macht so gut wie nichts zu Fuss. Aus seinem Transporter holte er Gummistiefel, die ihm bis zum Ende seiner Oberschenkel reichten und einen Bambusstab, an dessen Spitze ein Metalldorn befestigt war. Er schnallte sich einen Korb auf den Rücken und watete in das immer noch türkisfarbene Wasser. Hin und wieder stieß er mit seinem Stock auf den Boden und warf die dunklen Stacheltiere in den Korb.
Nach etwas einer Viertelstunde kam es zurück, breites Grinsen im Gesicht, jetzt muss probiert werden. Mit der mitgebrachten Schere kurzer Schnitt quer durch die Seeigel, kurz im Meerwasser ausspülen und dann die kleinen orangen Zungen auslöffeln…….Der himmliche Jodgeschmack hallt bis heute nach. 🙂
Zu dieser Zeit war N. Mitglied einer Kooperative, die einen der schönsten Campingplätze an der Ostküste Sardiniens betrieb. Mitten in einem Pinienwald, der unmittelbar an den weissen Strand reichte der langsam in das türkise Meer überging. Kein Haus weit und breit, nur Natur und Meeresrauschen. Traumhafte Lage. Mittelpunkt des Campingplatzes war das Restaurant, das N. dirigierte und inszenierte. Das bedeutete auch, dass er für private Spässe nur ausserhalb der Touristensaison Zeit und Muße hatte – dann aber richtig. Als Beispiel ein Tag des folgenden Jahres.
Wir hatten uns im Hafen von La Caletta, einem kleinem Ort nahe Siniscola auf der Terrasse eines der Restaurants verabredet. N. kam pünktlich. Mit Eleganz, zu der nur italienische bzw. sardische Männer in der Lage sind, sprang er aus seinem Bus, und direkt nach der wie immer herzlichen Begrüßung konnte er kaum stillsitzen, er hatte „una festa piccola“ für den Abend im Sinn. Und dafür mussten frische Pilze organisiert werden und noch so einiges andere. Es folgten einige Telefonate per Handy, die für mich mehr nach Kommandos klangen, dann alle in den Bus und ab in die Berge. Unterwegs dorthin ein zweiter Wagen, vollbesetzt mit seinen Freunden. Und erst jetzt wurde mir klar, dass es nicht darum ging, Pilze einzukaufen, sondern wir gingen alle zusammen in die Pilze. Im Wald. Hatte ich noch nie gemacht…..
Die Schranke, die die Zufahrt in den Wald versperrte, wurde von N. selbstverständlich ignoriert, einfach hochgeklappt und weiter ging die Fahrt tief in den Wald bis zu einer Art Grillplatz. Jedenfalls gab es einen großen Steintisch und eine nicht weniger große Steinbank. Und als die Freunde dann auch da waren wurden die einzelnen „Abschnitte“ des Waldes unter uns aufgeteilt, jeder hatte ein relativ kleines Revier auf Pilze zu untersuchen. Wir waren vielleicht eine halbe Stunde unterwegs und die Beute offensichtlich ausreichend. N. gab das Kommando zum sammeln an diesem Grillplatz. Während wir über die Pilzausbeute erstaunt waren, zuckten die Einheimischen mit keiner Mine. Der Korb mit knapp einem Meter Durchmesser war randvoll mit frischen Steinpilzen, die wurden kurz auf dem Tisch sortiert und dann ging es sofort weiter. Denn das war je erst Phase 1 der Vorbereitungen. Um es abzukürzen: Kaninchen, Spanferkel, Berge von Artischocken, jede Menge Bier, Wein und alkoholfreie Getränke wurden bei jeweils anderen Händlern besorgt und nach und nach in den Bus geladen. Zwischendurch hielt N. mehrfach am Wegesrand, pflückte wilden Fenchel und anderes brauchbare Grünzeug und dann ging es ab in sein Wochenendhaus in den Bergen, das er erst vor wenigen Wochen soweit fertiggestellt hatte, dass man essen könne, wie er sagte.
Die gesamte untere Etage besteht aus eine großen Küche mit angeschlossener Vorratskammer und einer Toilette. Die obere Etage aus Bad, Schlafzimmer und Musiksalon, der Monate später noch eine besondere Bedeutung erlangen sollte……… Die Aussicht des Hauses ist grandios, auf der einen Seite das Mittelmmer auf der anderen Seite Berge, Berge, Berge. Ohne Auto kaum zu erreichen, die Straße dorthin eine abenteuerliche Schotterpiste.