Der allererste Toskanabesuch musste verlängert werden, weil eine der Mitreisenden ins Krankenhaus musste (stazione reanimazione in Viareggio). Aber das ist eine andere Geschichte, die nicht in diesen Zusammenhang passt. Zu dieser Zeit überhaupt keine Italienisch-Kenntnisse, ausser den üblichen Vokalen wie si und no. Wir hatten uns in eine Pension eingemietet, die Nino und Lucia jeweils für eine Saison pachteten. Lucia, eine wunderbare Köchin und der Capo, dessen Hauptaufgabe in der Bedienung der Kaffeemaschine bestand . Und wenn die Diner beendet und die Gäste ihren cafe getrunken hatten und zum Abendspaziergang unterwegs waren, langweilte sich Nino.
Durch den Krankenhausaufenthalt war der Urlaub für uns irgendwie daneben, wir pendelten täglich zwischen Pietrasanta und Viareggio, es bestand Lebensgefahr für die Mitreisende. Die Nerven lagen also blank. Nix mit Strand und Erholung. Das hatte Nino natürlich mitbekommen. Und dann hatte er eines Abends die Idee, mich auf seine abendlichen Autotouren durchs Hinterland mitzunehmen. Welch wunderbare und nachhaltig wirkende Idee, denn diese Touren, es sollten zahlreiche werden, waren mein tiefstes toskanisches Erweckungserlebnis. Nino war damals so um die 60 Jahre, fit, drahtig und fuhr einen alten 127er Fiat. Wie alle Italiener, die ich kennengelernt habe, fuhr er abenteuerlich, Tempobegrenzungen verstand er höchstens als Empfehlung und die wenigen Ampeln hatten nachts sowieso keine Bedeutung.
Seine Familien wohnte in Camaiore und eines der umliegenden Dörfer hatte er als Ziel der ersten Tour auserkoren. Die Kommunikation mit ihm war damals noch schwierig, es ging – aber mit Händen und Füßen und viel gutem Willen auf beiden Seiten. Irgendwann verließ er die Hautstrasse und bog in eine Seitenstrasse ein, die sich im Verlauf zu einer Gasse entwickelte und hielt vor einem kleinem Lebensmittelladen, dessen Lichter schon verloschen waren. Aber die Türe war noch offen. Nino palaverte mit dem Besitzer, den er offensichtlich gut kannte, der machte daraufhin nochmals alle Lampen an, fuhr die Kaffeemaschine hoch und Nino sprach ständig von „Punch livornese“ und „Biroldo“. Ich verstand weder das eine noch das andere, aber der Ladeninhaber machte es dann klar. Er griff in die Vitrine, holte eine etwa zwanzig-Zentimeter-Durchmesser-Wurst und schob sie durch die Aufschnittmaschine. Die 3-5 Millimeter dicken Scheiben landeten auf Zeitungspapier, das alles reichte er mir rüber zum probieren. Das also war „Biroldo“ eine Art kräftig gewürzte Zungenwurst, ähnlich unserer Thüringer aber extrem stark gewürzt. Wunderbar lecker, wunderbar fettig. Nino grinste, genau die Reaktion hatte er erwartet und gab dem Ladenbesitzer ein Zeichen er mögen nun den „Punch Livornese“ machen. Es passierte folgendes: Ein Wasserglas wurde zu einem Drittel mit Brandy gefüllt, ein weiteres Drittel mit Rum. Dann kam die Dampfdüse der Kaffeemaschine rein, das ganze wurde erhitzt und obendrauf noch ein Ristretto und einen Hauch Zucker. Leicht rühren.
Das ganze nachts gegen 11 Uhr, der Hammer. Das weckt alle müden Geister. Nicht alle toskanischen Bars kennen dieses Getränk, hin und wieder aber habe ich es in den Folgejahren entdecken und genießen können.
Details und Informationen zur Biroldo habe ich hier gefunden. hier: https://www.fleischtheke.info/internationale-fleisch-und-wurstspezialitaeten/biroldo.php
Schlagwörter: Kulinarische Begegnungen 7 - Biroldo
29. August 2018 um 7:24 pm |
Jetzt aber mal etwas langsamer. Man kommt mit dem Lesen nicht mehr hinterher.😆